Dienstag, 15. Oktober 2024

Also gut! Noch einmal zum Betragen in der Miloga … (hauptsächlich für Männer…)

Eigentlich wollte ich zu den jüngsten Ereignissen um Gustavo Naveira und Giselle Anne nicht schreiben. (Wer es wissen möchte: Am 5. Oktober hat Gustavo Naveira beim Gavito Tango Festival in den USA seine (Tanz-)Partnerin nach einer offensichtlich nicht seinen Vorstellungen entsprechenden Darbietung einfach auf der Tanzfläche stehen gelassen. Ein gnädiges und vollständiges Video von der Piazzolla-Vorführung gibt es hier, das unrühmliche Ende der Vorführung ist in einem Facebook-Video zu bestaunen. Anschließend wurde er vom Festival ausgeschlossen (allein) und er entschuldigte sich ein paar Tage später wortreich bei Facebook).

Das Problem ist nicht isoliert die Vorführung, sondern die Haltung, die hier unter Umständen versteckt hinter der Darbietung stecken könnte. Natürlich hat jeder mal einen schlechten Tag, aber das ist keine Rechtfertigung für missbräuchliches Verhalten der Partnerin gegenüber. (Deswegen war ich zunächst auch sehr zögerlich, zu den Ereignissen zu schreiben. - Es war eigentlich keine Neuigkeit für mich. Schon die beinahe legendäre Website tangoandchaos.org veröffentlichte vor mehr als 15 Jahren einen Artikel, in dem es um das Ego des Meisters ging; glücklicherweise habe ich den Artikel relativ früh in meinem Tangoleben entdeckt.)

[Leider habe ich erst nach Veröffentlichung entdeckt, dass ein Deeplink zu dem entsprechenden Artikel vom Server nicht zugelassen wird. Im Kapitel 6, Thema Kung Fu Tanda - unten auf der Seite - unter: „House of Flying Daggers“]

Wie gesagt, einen schlechten Tag kann jeder einmal haben. Geschenkt! Das ist aber keine Rechtfertigung für unangemessenes, missbräuchliches Verhalten der Partnerin gegenüber.

Nun ist neben dem - vielleicht problematischen - Ego des Großmeisters möglicherweise die zur Darbietung gewählte Musik verantwortlich. Nach meiner Empfindung ist die Musik von Astor Piazzolla meistens denkbar ungeeignet für meinen getanzten Tango. Da können auch andere ganze Elaborate veröffentlichen, warum nun ausgerechnet Piazzollas Musik der „wahre“ Tango sei (Fundstellen siehe Google). Es geht um die grundlegende Idee, die im Tango steckt. Beide Beteiligten tanzen - möglicherweise in geschlossener Umarmung - eine Tanda und beide tragen eigenständig aber doch gemeinsam zum Gelingen bei. Natürlich gibt es Tandas bei denen das weniger gut klappt, aber es gibt auch Tandas die sind einfach traumhaft. Das muss nicht immer spektakulär von außen aussehen! Trotzdem funktioniert es.

Für die aufmerksamen Leserinnen und Leser steckt in der vorausgegangenen Beschreibung der Kern des Problems. Es geht um „Gemeinsamkeit“. Der Tango ist m.E. keine Bühne für fragile Charaktere. Wenn man dann unbedingt zu weniger geeigneter Musik tanzen möchte, dann passiert dies mit der Einschränkung, dass der „gemeinsame“ Tango u.U. nicht so gelingt, wie man es sich erträumt hat. Dann sind aber bestenfalls beide dafür verantwortlich (evtl. noch der DJ). Isoliert der Tanguera die Schuld zu geben, ist nicht nur unsportlich, es ist misogyn (= frauenfeindlich).

Den letztendlichen Ausschlag für diesen Beitrag gab es heute früh in der TAZ.
Sexuelle Belästigung beim Tanz: Tatort Tanzfläche

„Tanzpartner, die sich an ihnen reiben, ihnen ihren erigierten Penis in den Schritt drücken, probieren, sie auf der Tanzfläche zu küssen, bis hin zu Vergewaltigungen vor dem Club – all das sind Erfahrungen, die Frauen aus der Berliner Tanzszene schildern. […]“

Gut, es geht in dem Artikel um Salsa. So etwas habe ich im Tango bisher noch nicht erleben müssen. Ich erinnere mich allerding sehr lebhaft an einen Gigolo vor ca. 12 Jahren nach einer Milonga in München, der beim Schuhwechsel (in geschlechtergetrennten Umkleiden) lautstark verkündet hat, „es gäbe keine Tanguera, die nicht beim Tango mit ihm einen Orgasmus bekommen hätte“. (Wenn der wüsste …) Oder ein anderer Fall letztes Jahr in Berlin: ein umtriebiger Tango-Veranstalter gab seiner Partnerin während der Tanda verbale Instruktionen, wie sie zu tanzen hätte. (Wie so häufig, tanzte sie erheblich besser als er.) So etwas läuft bei mir unter missbräuchlichem Verhalten. Ich habe dauernd überlegt, ob ich intervenieren sollte („Wenn Du es richtig führst, dann wird sie schon entsprechend folgen“). Ich war mir unsicher, ob die Differenzen durch meine Intervention nicht schlimmer geworden wären. Dieses Schweigen ermutigt allerdings entsprechende Tänzer (ja, hier verwende ich sehr bewusst die männliche Form), ihren Missbrauch weiterhin zu vollziehen. Ich neige dann dazu, zukünftig entsprechende Umgebungen zu meiden. Und ich merke, wie es stärker um sich greift. Deswegen schreibe ich.

Mildere Formen des Missbrauchs kann man entsprechend häufiger beobachten. Da sind beispielsweise Tangueros, die von „Tanzsportgeräten“ sprechen, verbal auffordern oder gerne auch in der Milonga unterrichten usw. Wo ist die Grenze zwischen Stoffeligkeit und Missbrauch? Wann sollte man als Umstehende oder Umstehender intervenieren? Ich kann das nicht immer klar erkennen.

Wenn wir gerade über die Aufforderungssituation gesprochen haben, dann muss ich meine grundsätzliche Haltung dazu noch einmal wiederholen. Mirada und Cabeceo stellen sicher, dass beide wirklich tanzen wollen. Die häufig vorgetragene Ansicht: „Die mögen sich doch bitte nicht so anstellen, es ist nur ein Tanz …“, geht an der Realität vorbei. Gerade im Tango gibt es die Freiheit, eine Tanda zu tanzen (oder eben nicht). Eine verbale Begründung ist - gerade auch bei Ablehnung - nicht erforderlich. Bei konsequenter Anwendung von Mirada und Cabeceo kommt es erst gar nicht so weit. Zusätzlich kleinräumig und ohne hohe Beine in der Ronda zu tanzen minimiert das Verletzungsrisiko.

Eine meiner Gundhaltungen im Tango lautet: „Pro Milonga nur eine Tanda mit einer Tanguera“ (mit einer Tanguera, mit der ich gemeinsam zur Milonga gekommen bin, tanze ich zwei Tandas, die erste und die letzte Tanda). Das verhindert, dass Tangueras ewig lang sitzen. Und schon klappt es mit der Gemeinschaft. Möglicherweise finden eine Tanguera und ich in einer Tanda nicht zusammen. In diesem Fall kann ich gut mit der oben beschriebenen Einstellung, „Es ist doch nur ein Tanz“ leben und es bei der nächsten Milonga erneut versuchen.

Inzwischen leben wir in Zeiten der Begriffsverwirrungen (im Großen wie im Kleinen). Mein Tango wird als traditionell, konservativ, manchmal raktionär gekennzeichnet. Die Piazzolla-Fans und Cabeceo-Verweigerer nehmen für sich in Anspruch, den wahren Tango frei von Konventionen zu pflegen. Ich persönlich kann damit gut leben, ich beobachte, es schadet nur meinem Tango, wenn ich mich zu sehr aufrege. Schließlich sind auch meine Tangofertigkeiten limitiert. Also entziehe ich mich – mehr oder weniger konsequent - Umgebungen, in denen es auf den „größten Tangokeks“ ankommt. Den dürfen gerne andere haben.

Ich ahne, dieser Beitrag wird von manchen u.U. missverstanden. Auch wenn ich von der Richtigkeit meiner Gundannahmen überzeugt bin, kann ich es momentan nicht besser formulieren. Der Tango ist m.E. weder Wettbewerb („der spektakulärste Tango”, „der beliebteste Tanguero“ usw.) noch Bühne. Leider scheint das in manchen Umgebungen zunehmend in Vergessenheit zu geraten. Ich bin auch nur aus der Versenkung aufgetaucht, um diese Ansichten als Tanguero zu formulieren. Äußern Frauen diese Ansichten (z.B. die großartige Veronica Toumanova), dann hört man zunehmend häufiger die Mär von den unnahbaren Frauen. Da bleibt mir nur die Frage: "Wollen wir Tangueros wirklich, dass die Tanzpartnerinnen (oder vielleicht auch Tanzpartner) nur aus Pflichtgefühl mit uns tanzen"?

2 Anmerkung(en):

Anonym hat gesagt…

Haha! Sehr gut: "Der größte Tangokeks"..... Der wird wahrscheinlich mehrmals pro Woche in Pöselsdorf verspeist. :-))))

Gerhard Riedl hat gesagt…

Ach nein, mit Keksen geben wir uns nicht zufrieden. Da darf es schon mal eine Sahneschnitte sein...